Lernen unter schwebenden Dächern

Inmitten der Stadt Grenoble, eingebettet in die westlichen Ausläufer der französischen Alpen, liegt das Lycée Champollion. Namenspate der Schule ist Jean-François Champollion. Einst selbst Schüler in Grenoble, gelang es ihm im Jahre 1822 als Erstem, die ägyptischen Hieroglyphen mit Hilfe des Steins von Rosetta zu entziffern. Der nach ihm benannte Schulkomplex zeichnet sich durch eine klare Anordnung mit langen Gebäudeflügeln und großen Höfen aus. Die weitläufige Anlage erstreckt sich über ein rund 28.000 m² großes Areal und öffnet sich nach Süd-Osten zur Stadt. Die einzelnen Flügel laufen in dieser Richtung wie die Zinken eines Kammes aus. Die Entwürfe für das im Jahr 1887 fertiggestellte Lycée stammen von dem Architekten Joseph Auguste Émile Vaudremer.

Für Sporthalle und Mensa wurden auf den Höfen des Gebäudekomplexes zwei neue, eigenständige Gebäude errichtet

Der Platz wird knapp

Im Laufe der über 100-jährigen Geschichte fanden schon einige Sanierungsmaßnahmen statt, die sich aber alle im Rahmen der bestehenden Struktur bewegten. Aktuell standen im Lycée Champollion erstmals auch zwei Erweiterungsbauten auf dem Programm. Eine Sporthalle und eine Kombination aus Mensa und Küche entstanden von Grund auf neu. Da der zur Verfügung stehende Innenraum nicht mehr ausreichte, wurde auf eine Lösung außerhalb des vorhandenen Gebäudebestands ausgewichen.

Hofhaltung

Die beiden Gebäude wurden von einem Architektenteam, bestehend aus MILK Architectes und Soria Architectes & Associés, entworfen und umgesetzt. Sie haben die Erweiterungen als Teile eines zusammengehörigen Ganzen in zwei nebeneinander liegende Höfe im südöstlichen Bereich des Geländes platziert. Beide Bauten weisen ein ähnliches Volumen sowie eine außergewöhnliche Dachgeometrie auf. Ihre Dachoberflächen aus Zink sind in einem vorbewitterten Rotton gehalten und heben sie sich farblich nur dezent von den bestehenden Dächern der Schule ab.

Die neuen Dächer fügen sich mit ihren Oberflächen in PIGMENTO rot gut ins Gesamtbild ein

Gut verbunden

Dabei gibt es auch sichtbare Unterschiede zwischen Sporthalle und Mensa. Erstere steht mit viel Luft zu allen Seiten inmitten eines größeren Platzes, während die Mensa auf einem kleineren Hof errichtet wurde und seitlich bis an die beiden umschließenden Gebäudeflügel heranreicht. So können die Studierenden die bestehenden Speisesäle in den direkt angrenzenden Bereichen nutzen, ohne dafür durchs Freie zu müssen. Da zwei der Seitenflächen verbaut sind, finden sich auf dem Dach der Mensa verglaste Bereiche, die natürliches Licht von oben in den Innenraum lassen. In der Küche wird nicht nur für die eigenen Studierenden, sondern auch für umliegende Institute gekocht. Täglich sollen hier bis zu 1.700 Mahlzeiten zubereitet und serviert werden können.

Das Dach der Sporthalle konnte nur deshalb so niedrig angelegt werden, weil das Spielfeld weit unter Bodenniveau liegt

Bewegung im Untergrund

Eine Sporthalle prägt einen Gebäudekomplex gewöhnlich schon allein durch die erforderliche Höhe. Um das Gesamtbild der historischen Schule nicht zu stark zu verändern, wurde die Halle hier deshalb tief in den Boden eingelassen. Das Dach liegt unterhalb der Fensterreihen des zweiten Stockwerks der umliegenden Bauten. Verglaste Fassaden sind für eine großzügige Belichtung des Innenraumes verantwortlich. Doch nur wer nahe an diese großen Fenster herantritt, kann auf das Spielfeld im Untergrund hinunterschauen. Die Mensa hingegen liegt ebenerdig und der Bereich unter dem Gebäude wird durch die Einfahrt zu einer Tiefgarage und zugehörige Stellplätze belegt.

Auch im Inneren bleibt die aus vielen Dreiecken aufgebaute Struktur der Dächer erkennbar

Im Winde schwebend

Ziel der Architekten war es, die Neubauten mit einer Bedachung auszustatten, welche die Illusion vermittelt, wie ein Origami aus Zink im Wind zu schweben. Die Zinkdächer bestehen aus vielen in unterschiedlichen flachen Winkeln aneinander stoßenden spitzwinkligen Dreiecken und erinnern so an die japanische Kunst des Papierfaltens. Aus einer großen Dachfläche werden viele feingliedrig und leicht wirkende Einheiten. Die Dächer sind auf der Unterseite mit Holzpaneelen verkleidet und so angelegt, dass die besondere Struktur auch von innen sichtbar wird. Außen auf der Oberseite findet sich eine VMZINC Stehfalzdeckung in der Oberfläche PIGMENTO rot. Um den schwebenden Eindruck zu verstärken, verzichtete das Architektenteam darauf, die technische Gebäudeausstattung auf den Dächern zu installieren und verlegten diese Funktionen ins Innere der Gebäude.

Auf beiden Dächern wurden Zinkscharen einheitlicher Breite in Stehfalztechnik verlegt

Ruhiges Gesamtbild aus vielen Einzelflächen

Die Stehfalzpaneele belegen auf beiden Gebäuden zusammengenommen eine Fläche von 2.230 m². Sie wurden vom Dachdeckerbetrieb Société Dauphinoise Charpente Couverture als Doppelstehfalz ausgeführt. Mit einer unterstützenden Unterkonstruktion lässt sich diese Technik auch für die teilweise recht flachen Dachwinkel sicher einsetzen. Bei beiden Gebäuden wurden Zinkscharen in einer einheitlichen Breite verwendet. Zudem folgt die Anordnung der einzelnen Dachfacetten einem klaren rhythmischen Muster, so dass sich trotz der vielen aneinander stoßenden und in unterschiedlichen Größen und Winkeln konstruierten Einzelflächen ein ruhiges Gesamtbild ergibt, das fast an eine sanfte Meeresdünung erinnert.

Gemacht, um auf sie herabzublicken

Im Lycée Champollion treffen der historische Gebäudebestand und die neuen Erweiterungsbauten auf stimmige Weise aufeinander. Den über 100 Jahre alten Fassaden mit ihren roten Dachschindeln treten zwei neue Gebäude gegenüber, die hauptsächlich durch ihre besonderen Dachformen mit roter PIGMENTO-Oberfläche definiert werden. Die Neubauten sind so niedrig angelegt, dass ein Blick aus den oberen Stockwerken der umliegenden Gebäude fast nur auf diese zu schweben scheinenden Dächer fällt. So bringt das Architektenteam von MILK Architectes und Soria Architectes & Associés ein wenig Leichtigkeit in den Schulalltag.

Durch ihre betont leichte Anmutung und ihre geringe Höhe fügen die neuen Erweiterung sich gut in das Gesamtbild ein

Guido Wollenberg

Bildrechte: Alexandre Mermillod OnixStudio (Bilder 3, 4, 5, 6) und Studio Erick Saillet (Bilder 1, 2, 7)