Die Ausläufer des Libanongebirges erstrecken sich bis hinab zur östlichen Mittelmeerküste und nach Beirut. Doch während in der Hauptstadt des Libanon noch ein Klima mit heißen Temperaturen und geringen Niederschlägen vorherrscht, werden im Gebirge, keine 50 Kilometer von der Küste entfernt, Höhen und Temperaturen erreicht, die den Betrieb von Skigebieten erlauben. Hier liegt auf rund 1.700 Metern auch die Ortschaft Faqra. Sie ist bekannt für ihre römischen und byzantinischen Ruinen, welche sich als die umfangreichste archäologische Ausgrabungsstätte der Region erwiesen haben. Am Rand des Ortes bildet sich aus dem kargen Kalkstein ein kleiner Felsenpark. Inmitten der Felsen steht ein Gebäude, das so gut in die Landschaft eingebunden ist, dass es aus der Entfernung kaum auffällt.

„On the Rocks“
Der Architekt Karim Nadir hat hier für einen privaten Bauherren ein Wohnhaus errichtet, das als Rückzugsort vom Großstadtleben in Beirut dient. „On the Rocks“ hat er dieses Haus aus Beton und Glas genannt, das von einem dunklen VMZINC-Dach bedeckt wird. Es erhebt sich aus einem zerklüfteten Untergrund, der in Jahrtausenden von Regen und Schnee geformt wurde. Die Einheimischen bezeichnen diese Felsformationen auch als „Geisterhäuser“.

Erweiterung der Landschaft
Karim Nadir hat die Natur mit seinen charakteristischen Details und den vielen Grautönen genau beobachtet und einfühlsam mit Sichtbeton, Glas und Zink ergänzt. Er hat mit diesen Materialien ein Haus geschaffen, das seine Inspiration aus der Natur des Ortes bezieht und die Eigenheiten des umliegenden Geländes aufgreift. Doch neben diesem starken Bezug auf den Standort hat der Architekt Beton und Glas auch deswegen ausgewählt, weil diese beiden Baustoffe das Bauen im Nachkriegs-Beirut am stärksten beeinflusst haben.

Betonvolumen greifen Siedlungscharakter auf
Der Zugang zum Haus führt über eine Treppe, die fast aus den Steinen hervorzuwachsen scheint und sich um die natürlichen Felsformationen, die das Haus umgeben, in die Höhe windet. Den Kern des Gebäudes macht eine Anzahl von zimmergroßen Betonvolumen aus, die sich scheinbar verstreut aus der Grundfläche erheben. Mit diesem Vorgehen verweist Nadir auf den Charakter von Faqra. Die Ortschaft bildet selbst ein Ressort, das nur über wenig zusammenhängende Siedlungsbereiche verfügt und sich eher aus vielen über das Gelände verstreuten Häusern oder Hausgruppen zusammensetzt.

Außen und innen verschmelzen
Die Massivität und Kompaktheit der Betonvolumen wird durch die Verwendung von Glas ausgeglichen, das den restlichen Teil des Innenraumes in einen transparenten Bereich verwandelt und den Eindruck verstärkt, hier direkt inmitten der Felslandschaft zu wohnen. Die Glasflächen sorgen dafür, dass aus der Geschlossenheit der Betonboxen und den freien Flächen dazwischen ein zusammenhängender Wohnraum entsteht. Intimität steht hier einer extremen Offenheit gegenüber. Ein Zinkdach wirkt als übergreifende Klammer zwischen den Volumen aus Beton und den durch Glasflächen begrenzten Innenräumen.
Geschlossene Räume inmitten von Offenheit
Die Boxen aus Beton enthalten jeweils ein eigenes Zimmer. Jedes dieser Zimmer öffnet sich zu einer winzigen Terrasse mit einem Baum, einem Felsen und einer ausgewählten Perspektive nach außen. Diese kleinen Lücken im Betongefüge scheinen die Struktur der umliegenden Felsen aufzugreifen. Die Zimmer selbst sind als „warme Welten“ gedacht, die innen vollständig mit Holz verkleidet sind. So wird ein deutlicher Übergang von den von Glas eingefassten, offenen Innenräumen hin zu den privateren Zimmern geschaffen.

Ein Blatt aus Zink
Die rund 250 m² große Überdachung aus ANTHRA-ZINC erinnert mit ihrem dunklen Grauton an die Schatten im zerklüfteten Gestein und die markanten Linien der Stehfalzdeckung greifen die vertikale Orientierung der vielen Felsen auf, die in kleinen Gruppen senkrecht aus dem Boden hervorzuwachsen scheinen. Wie ein dünnes Blatt legt das Dach sich auf die Gebäudeteile, die den Innenraum bilden. Und während die Glaswände bis hinauf zum Dach reichen, weisen die einzelnen Betonvolumen eine leicht reduzierte Höhe auf, so dass zwischen ihrem oberen Abschluss und dem Zinkdach ein Abstand entsteht, der den Eindruck vermittelt, das Dach würde über den Betonboxen schweben, ohne sie zu berühren. Verstärkt wird dieser Anschein durch die Tatsache, dass die Betonvolumen auf der vom Eingang abgewandten Seite teilweise ein Stück unter dem Dach hervortreten, so dass das Dach nicht die gesamte Grundfläche des Gebäudes überdeckt.
Außergewöhnliches Versteckspiel
„On the Rocks“ in Faqra vereint zwei Seelen in seiner Brust. Für sich genommen, ist es ein außergewöhnliches Gebäude, das aufgrund seiner Gestaltungsideen und besonders aufgrund des Spiels mit transparenten und opaken Räumen auffällt. Auf der anderen Seite fügt es sich mit seinen Materialien Beton, Glas und Zink so gut in die Landschaft ein, dass es fast wirkt, als wollte es sich verstecken. Die Wertschätzung für die Umgebung und die Verpflichtung, den Eingriff in die Natur so minimalistisch wie möglich zu gestalten, zeichnen den Rückzugsort in den Bergen aus.

Guido Wollenberg
Bildrechte: Dia Mrad, Christopher Antaki, Marwan Harmouche