Sie ist nicht mehr das, was sie mal war. Zwar gibt es sie noch, die altehrwürdige Bibliothek, in der das Buch die Hauptrolle spielt. Doch selbst der aktuelle Wikipedia-Eintrag zeigt, dass ein Wandel schon seit Jahrzehnten im Gange ist. Vom gedruckten Buch verschiebt sich der Fokus immer mehr zu Informationen, die in verschiedenster Form gesammelt, bewahrt und systematisch zugänglich gemacht werden. Neben digitalen Inhalten nimmt auch das Verleihen oder Bereitstellen von einer breiten Palette an Gegenständen wie Musikinstrumenten oder 3D-Druckern einen immer größeren Raum ein.
Umfassende Umgestaltung
Auch Teeple Architects aus Toronto standen vor der Herausforderung, den Wandlungsprozess der Bibliotheken zu berücksichtigen. Die kanadische Stadt Edmonton hatte ihnen die Aufgabe übertragen, die Stanley A. Milner Library zu erneuern. Edmonton hatte sich gegen einen kompletten Neubau der bestehenden öffentlichen Bibliothek entschieden und setzte auf eine umfassende Renovierung und Umgestaltung. Zusammen mit dem Architekturbüro Stantec suchte Teeple Architects nach Wegen, die neuen Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen und weitere Dienste in sinnvoller Weise mit dem Bestand an Büchern zu kombinieren. Aus der Stanley A. Milner Library sollte ein modernes und einladendes städtisches Zentrum werden. Gleichzeitig bestand ein zentrales Ziel der Umbaumaßnahmen darin, die Energieeffizienz des Gebäudes auf ein zeitgemäßes Niveau anzuheben.

Verschlossenes Erbe
Die ursprüngliche Bibliothek aus dem Jahr 1967 wurde schon 1999 durch einen großen Anbau erweitert. Dieser Anbau reduzierte den Platz vor dem Gebäude auf einen schmalen Gehwegstreifen und ließ keine nennenswerten Einblicke in das Angebot der Institution und die Aktivitäten der Besucher zu. Damals vermittelte das erweiterte Gebäude eher den Eindruck, sich von der Stadt abzuschotten. Heute sieht das anders aus. Die erneuerte Bibliothek präsentiert sich als ein einladendes Portal, das den Kontakt zur Umgebung sucht.
Nichts bleibt von der alten Gebäudehülle
Der alte Baukörper hat eine tiefgreifende Veränderung durchlaufen und ist nach der Renovierung nicht mehr wiederzuerkennen. Die Gebäudehülle wurde komplett ausgetauscht, alle Außenfenster und -wände wurden entfernt und durch eine neue energieeffiziente Bekleidung ersetzt. Der ursprüngliche Betonskelettbau von 1967 blieb jedoch erhalten. Auch einige Bauteile wie Fußböden, Aufzugsschächte und sogar die Rolltreppen konnten weiterhin verwendet werden.
Öffnung zur Stadt
Die neue Form des Gebäudes wurde so konzipiert, dass sie deutlich besser mit dem Umfeld kommuniziert und sich zu nahe gelegenen Wegmarken im Stadtbild wie der Edmonton City Hall öffnet. Die Gebäudehülle besteht nun aus einer Zinkbekleidung in der Oberfläche AZENGAR, welche großzügig verglaste, transparente Bereiche integriert. Das Erdgeschoss hingegen verzichtet auf jegliche opake Flächen und setzt auf eine rundum laufende Verglasung. Besonders außergewöhnlich wirkt die Fassade durch die schräg angeschnittenen Enden der schmalen, aber langen Fensterbänder, die sich durch jedes Stockwerk der Bibliothek ziehen.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit
Kritik am Entwurf wurde allerdings schon zur Bauzeit von einem Journalisten aus Edmonton angestoßen und verbreitete sich schnell in den sozialen Medien Kanadas: Als „Think Tank“ mit einer starren und massiven Linienführung, die einem Panzer (engl. tank) oder gar einem imperialen Sternenzerstörer aus „Star Wars“ ähnelt, wurde das Werk verspottet. Doch Architekt Stephen Teeple, Gründer und Leiter von Teeple Architects, konzentrierte sich auf das Positive der angeregten Diskussion: Das neue Gebäude wurde schon vor seiner Öffnung wesentlich stärker wahrgenommen als das alte. Das auffällige Design und die Dynamik des Entwurfs haben die Bibliothek ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Modernes Bibliotheksangebot
Auch im Inneren hat sich viel getan. Die Stanley A. Milner Library zeigt, was ein modernes Bibliotheksangebot ausmacht. Neben der traditionellen bücherbezogenen Nutzung stellt sie den Zugang zu neuen Technologien stärker in den Vordergrund und betont gleichzeitig soziale Faktoren. Die städtische Bibliothek soll die Gemeinschaft der Bevölkerung und ihre Kreativität fördern sowie soziale Verantwortung für deren Weiterbildung übernehmen.
Versorgungszentrum
Ein lichtreiches, sechsstöckiges Innenatrium empfängt die Besucherinnen und Besucher. Baumartige Säulen in V-Form tragen die Fassaden- und Dachstruktur des Atriums. Der Bereich nimmt eine zentrale Rolle im Gebäude ein und verbindet das umfangreiche Angebot an Aktivitäten im Inneren mit dem städtischen Leben. Vom Atrium aus eröffnen sich Wege ins Gebäude, die im natürlichen Fluss zu den diversen Angeboten der Bibliothek führen.

Vielfalt für mehr Anziehungskraft
Diese Angebote umfassen Galerieräume, eine mulimediale Kinderbibliothek, Spielbereiche, eine Lehrküche sowie Sitzungsräume und Verwaltungsbüros. Ein großer Teil der zweiten Etage wird von Makerspaces eingenommen. Es gibt 3D-Drucker und Laser-Fräsmaschinen mit digitaler Anbindung, Tonstudios, Videobearbeitungsräume, Bereiche für den E-Sport und einiges mehr. Sogar ein kreisförmiger Versammlungsraum wurde in Absprache mit der örtlichen indigenen Cree-Gemeinschaft integriert und bildet eine kleine spirituelle Oase im Zentrum des Gebäudes. Doch es sind die vielen Arbeitsplätze an modernen Maschinen, welche die große Anziehungskraft der neuen Bibliothek ausmachen und gerade junge Menschen immer wieder an diesen öffentlichen Ort ziehen.

Neue Gebäudehülle aus Zink
Stephen Teeple greift gerne auf eine Buchmetapher zurück, wenn er über die Bibliothek spricht. Für ihn ist der „Einband“ Teil einer umfassenderen Komposition. Teeple Architects hat die VMZINC-Oberfläche AZENGAR für die Außenhülle gewählt, weil es der hellste und matteste Farbton von Zink auf dem Markt ist. Die Oberfläche fängt das natürliche Licht ein und verleiht dem Projekt ein zeitloses und einladendes Aussehen. Gleichzeitig setzt diese Oberfläche die Stanley A. Milner Library in Beziehung zu einigen metallbekleideten Nachbarn am angrenzenden Sir Winston Churchill Square. Rund 10.000 m² AZENGAR bedecken die Außenhülle des Bauwerks. Das Zink wurde in Doppelstehfalztechnik verarbeitet und findet sich hauptsächlich an den vertikalen Fassadebereichen. Auf der Nordseite kippt die Fassade und wird zu einer Art Dachschräge, die sich über dem großen Innenatrium erhebt. Auch diese Schräge ist mit Zink bekleidet. Auf den restlichen Seiten verläuft die Fassade aber durchgehend vertikal und geht dann in Flachdächer über, die vom Boden aus nicht einsehbar sind.

Energetisch zeitgemäß trotz altem Kern
Ein weiteres Argument für die Wahl der Zinkfassade waren die thermischen und reflektierenden Eigenschaften der Bekleidung. Die Außenhülle mit ihrer vorgehängten hinterlüfteten Fassade und einer sehr guten thermischen Isolierung sorgt im kalten, kanadischen Klima Edmontons für eine gute Energieeffizienz und wirkt an heißeren Sommertagen einer Aufheizung des Innenraums entgegen. Die Außenhülle aus Zink trägt dazu bei, dass die Bibliothek auch noch mit ihrem Kern aus dem Jahre 1967 den angestrebten Standard für nachhaltige Gebäude erfüllt. Das renovierte Bauwerk kann eine LEED® Zertifizierung in Silber für sich verbuchen.

Guido Wollenberg
Bildrechte: Andrew Latreille