Gebaut, um Jahrhunderte zu überdauern

Die Nachhaltigkeit steht bei vielen aktuellen Bauprojekten im Zentrum, selten jedoch richtet sich der Blick dabei Jahrhunderte in die Zukunft. Doch bei der neuen Bibliothek des Magdalene College in Cambridge war genau dies der Fall. Níall McLaughlin Architects haben das Gebäude mit dem Ziel entworfen, dass es mindestens die nächsten 400 Jahre überdauert. Im Jahr 2022 ist das Bibliotheksgebäude mit dem renommiertesten Architekturpreis Großbritanniens als bestes neues Bauwerk ausgezeichnet worden: Der Stirling Price des Royal Institute of British Architects (RIBA) prämiert jeweils das Gebäude, das im vergangenen Jahr den größten Beitrag zur Entwicklung der Architektur im Vereinigten Königreich geleistet hat.

Neue Bibliothek für altes College

Das Magdalene College als Standort des aktuellen Preisträgers ist Teil der Universität von Cambridge. Es wurde vor fast 600 Jahren als Benediktiner-Herberge gegründet und rund 100 Jahre später dann unter dem Namen „College of St. Mary Magdalene“ als Lehrinstitut genutzt. Heute zählt es zu den eher kleineren Colleges von Cambridge, beherbergt mit der Pepys Bibliothek aber eine umfangreiche Sammlung seltener Bücher und Manuskripte.

Die Farbzusammenstellung der Ziegel orientiert sich an benachbarten Gebäuden

Historisches Erbe mit modernem Ansatz

Die Erweiterung des Magdalene College, die als Ersatz der beengten Studienräume der Pepys Bibliothek dient, fand bei der Jury großen Anklang. Die „New Library“ zollt dem historischen Erbe des Colleges Tribut. Sie greift Stilelemente der in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Pepys Bibliothek auf. So sind beispielsweise die Farbvariationen der Verblendziegel auf diese abgestimmt. Gleichzeitig integriert sie dabei einen modernen Ansatz in Hinblick auf Nutzung, Nachhaltigkeit und Energieeffizienz.

Im Sinne der Nachhaltigkeit

Die neue Bibliothek, die 24 Stunden am Tag geöffnet bleiben soll, setzt auf diverse Strategien, um den Energieverbrauch des wärmegedämmten Gebäudes zu minimieren. Dazu zählen eine ausgeprägte Nutzung der natürlichen Beleuchtung sowie eine einfache, aber hochwirksame passive Belüftung. Durch Öffnungen in der Fassade wird Frischluft zugeführt, warme und verbrauchte Luft wird durch Lüftungskamine und Öffnungen im Dach abgeführt. Die Öffnungen im Dach und in den Schornsteinen werden automatisch durch Wärme- und CO2-Senoren gesteuert, um eine übermäßige Belüftung zu vermeiden, wenn das Gebäude beheizt wird. Darüber hinaus übernehmen anstelle von Beton oder Stahl Holzkonstruktionen wichtige Aufgaben im Gebäude, um den in der Gesamtkonstruktion enthaltenen Kohlenstoff zu reduzieren.

Der modulare Aufbau wird beim Blick von oben besonders deutlich

Eigenständig und traditionsverbunden

Die neue Bibliothek entwickelt ein eigenständiges Erscheinungsbild, ohne dabei im Gebäudeensemble des Magdalene Colleges deplatziert zu wirken. An der Außenseite wird die Bibliothek durch eine Mischung aus Ziegel, Holz und Zink bestimmt. Ziegelfassaden und Schrägdächer prägen das Bild wie bei vielen Universitätsgebäuden in Cambridge. Allerdings setzt das neue Gebäude auf einen starken modularen Aufbau. Besonders bei einem Blick von oben fällt die Anordnung einfacher Backsteinvolumen ins Auge. Dächer und Schornsteine bilden wiederkehrende Elemente, welche die einzelnen Volumen voneinander separieren.

Mit mehr Licht zum Wissenserwerb

In der Kombination von Ziegelfassaden, Fensterflächen und Dachformen hebt sich die neue Bibliothek von ihren Vorgängern ab. Das tut sie unter anderem mit großflächigen Tür- und Fensterlaibungen aus Eiche. Auch die Gestaltung des Dachbereichs geht ganz neue Wege. Die Dachlandschaft gliedert sich in zwölf quadratische Einzeldächer, deren Flächen alle mit einer VMZINC QUARTZ-ZINC-Oberfläche eingedeckt sind. Jedes dieser zwölf Einzeldächer besitzt vier verglaste Giebelseiten und bildet so eine Dachlaterne mit vier Oberlichtern aus. Diese sind so angelegt, dass sie eine Blendung durch direkten Lichteinfall in die Lesebereiche vermeiden. Durchbrochen wird die Dachfläche von deutlich über den Dachfirst hinaus ragenden Schornsteinen. Doch diese sehen nur äußerlich wie ihre historischen Gegenstücke aus, tatsächlich dienen sie hier als passive Lüftungssäulen zum Austausch der Raumluft. In der Mitte des Gebäudes formieren sich jeweils vier Schächte zu fünf quadratischen Einheiten. An den Außenseiten des Gebäudes finden sich weitere sechs Schornstein-Einheiten, die aber jeweils nur zwei Schächte zusammenfassen.

Durch die Dachlaternen gelangt zusätzliches Tageslicht ins Innere

Ein Hain zum Lernen

Im Inneren eröffnet sich den Studierenden ein vielschichtiges Bild. Beim Eintritt vermittelt das Gebäude das Gefühl, in einen großen Hain aus Backsteinsäulen zu treten. Ein verzweigtes Geflecht aus Holdecken und Regalen erhebt sich hier zu einer Art Walddach. Inmitten dieses „Waldes“ ist der Innenraum in eine Vielzahl von Lese- und Arbeitsräumen aufgeteilt. Diese werden, wie das Äußere, durch Eichenholz und Ziegelflächen bestimmt und daneben natürlich von Holzregalen mit unzähligen Büchern. Ein Blick nach oben führt an zentralen Stellen über drei Stockwerke bis in die Spitzen der Dächer hinein. Diese weiten Räume teilen sich die Fläche mit vielen kleineren Räumen, die über die Etagen verteilt sind. Die Studierenden finden hier sowohl Arbeitsplätze, um allein und möglichst abgeschirmt zu arbeiten als auch solche, an denen sie gemeinsam mit anderen lernen können.

Das Gebäude präsentiert seine Baustoffe

Die Bibliothek wird von Ziegelwänden und Ziegelpfeilern getragen. Brettschichtholzbalken halten die Brettsperrholzböden und auch die Dachkonstruktion wurde mit Holzwerkstoffen ausgeführt. Diese Baustoffe sind im Inneren direkt sichtbar und prägen den Charakter des Innenraums. Die fünf zentralen Schornsteinstrukturen bilden Pfeiler aus verstärkten Ziegelsteinen, die auf jeder Stockwerksebene durch maßgefertigte Stürze aus Betonfertigteilen miteinander verbunden sind. Diese Stürze unterstützen sowohl die Balken für die Böden als auch die Dachkonstruktion aus vielen Einzeldächern.

Jedes der zwölf Einzeldächer besitzt vier Giebel

QUARTZ-ZINC im Zwölferpack

Die zwölf quadratischen Einzeldächer bestehen aus vier Giebeln, die jeweils direkt ineinander übergehen. Die einzelnen Dachflächen sind mit einer Neigung von 45 Grad ausgeführt, sie besitzen eine Doppelstehfalz-Deckung in der vorbewitterten Oberfläche QUARTZ-ZINC. Die Zinkdächer wurden von All Metal Roofing Ltd aus Waltham Abbey verlegt. Der Fachbetrieb nutzte dafür das Zink in einer Materialdicke von 0,7 mm. Die Zinkscharen wurden mit einem Achsabstand von 530 mm verbaut. Auch weitere Elemente auf dem Dach wie die Firstkappen und Kehlen wurden in der gleichen hellgrauen Oberfläche verwendet, so dass die Dächer mit einem stimmigen Gesamtbild aufwarten können. Sie sind als nicht belüftete Warmdächer ausgeführt, mit einem entsprechenden Aufbau inklusive einer Dampfsperre aus Aluminiumfolie und Bitumen. Die darauf liegende 90 mm dicke Isolierung mit hohem U-Wert wurde mit einer speziellen atmungsaktiven Membran abgedeckt. Den Abschluss nach außen bilden dann die Zink-Paneele, die hier in der Variante QUARTZ-ZINC Plus eingesetzt wurden. Diese besitzt eine spezielle Beschichtung auf der Unterseite, die vor vorübergehender Feuchtigkeitsbildung schützt.

Das Eichenholz wird zu einem silbrigen Farbton verwittern, der sich dann der Farbgebung der Zinkdächer weiter annähert

Geplanter Alterungsprozess

Die erwartete Lebensdauer des neuen Bibliotheksgebäudes von 400 Jahren, gibt den Baustoffen viel Zeit, um zu altern. Die Verblendziegel werden nachdunkeln und die Eichenfensterrahmen zu einem silbrigen Grau verwittern, das sich dann weniger stark von den Zinkdächern abhebt. So wird das gesamte Gebäude sich im Laufe der Jahre in seinem Erscheinungsbild weiter an die restlichen Gebäude auf dem College-Gelände angleichen.

Preisgekrönt in die Zukunft

Mit der „New Library“ von Níall McLaughlin Architects steht den Studierenden nun eine neue, hochmoderne und preisgekrönte Bibliothek mit vielen Arbeitsplätzen als Ersatz für die zu eng gewordene Pepys Bibliothek zur Verfügung. Das Gebäude, das zusätzlich auch ein klimatisiertes Archiv sowie eine Kunstgalerie enthält, ist auf eine sehr lange Nutzungsdauer ausgerichtet. Doch ob das Studium im altehrwürdigen Cambridge auch 400 Jahre in der Zukunft noch gedruckte Bücher erfordert, steht auf einem anderen Blatt.

Auch in 400 Jahren sollen die Studierenden dieses Gebäude noch nutzen können

Guido Wollenberg

Bildrechte: Paul Kozlowski