Weniger ist mehr: die Kunst des Verzichts

Normalerweise vereinfachen sich die Dinge, wenn man etwas weglässt. Doch manchmal gibt der Prozess des Weglassens den Blick auf eine neue Ebene frei. Oder er fügt einer einfachen Fläche Struktur hinzu. Auch einer glatten Fassade lassen sich so neue Seiten abgewinnen. Mit einem Material, das selbst in perforierter Ausführung stabil bleibt, lassen sich außergewöhnliche Wirkungen an der Außenhülle erzielen. Den Beweis dafür liefert der estnische Architekt Kalle Vellevoog vom Architekturbüro JVR Architecture mit perforierten Zinkpaneelen am Hochhaus Novira Plaza in der Stadt Tallinn.

Bureaux Novira Plaza, Tallinn (Estonie)
Das Novira Plaza liegt in rund 600 Metern Entfernung zur Altstadt der estnischen Hauptstadt Tallinn.

Wohnen und arbeiten mit Meeresblick

Das Novira Plaza liegt süd-östlich des alten Stadtkerns der estnischen Hauptstadt. Mit einer Höhe von rund 53 m und 15 Stockwerken kann man es sicherlich nicht als Wolkenkratzer bezeichnen, doch die Wohnbereiche in den obersten drei Stockwerken bieten ihren Nutzern eine beeindruckende Aussicht auf die Altstadt und die nahegelegene Ostsee. Besonders die großzügigen Penthouse-Appartements im Dachgeschoss stießen schon vor Fertigstellung auf eine hohe Nachfrage. In den unteren zwölf Stockwerken finden sich ausschließlich Büro- und Gewerbeflächen. Um eine Überschneidung der unterschiedlichen Funktionen zu verhindern, hat Vellevoog dem Novira Plaza sogar separate Eingänge und Lobbys für die Bewohner und die Nutzer der Gewerbeflächen spendiert.

Bureaux Novira Plaza, Tallinn (Estonie)
Starker Akzent: Treppenhaus mit perforiertem ANTHRA-ZINC.

Lochmuster setzt Akzente

Die Außenflächen der Gewerbe- und Wohnbereiche des Novira Plaza bestehen hauptsächlich aus Glas. Das Treppenhaus setzt jedoch einen starken Kontrapunkt, es ist aus dem Gebäudekörper herausgestellt und komplett mit VMZINC in der Oberfläche ANTHRA-ZINC bekleidet. Ein mehrere Meter breiter ANTHRA-ZINC-Streifen, der sich direkt neben dem Treppenhaus vom Erdgeschoss bis zum Dach erstreckt, bildet einen stimmigen Übergang zur Glasfassade. Abhängig von den Lichtverhältnissen tritt das dunkelgraue ANTHRA-ZINC mehr oder weniger deutlich hinter der hellen Glasfassade zurück, in der sich Stadtlandschaft und Himmel widerspiegeln. Doch Vellevoog hat den Zinkbereichen viel Aufmerksamkeit gewidmet, um ihnen ein stärkeres Gewicht zu verleihen. Für den überwiegenden Anteil der rund 1.600 m² großen Fläche wurden perforierte Zinkelemente verwendet. Diese lassen einerseits viel Licht ins dahinterliegende Treppenhaus und erlauben einen Blick ins Innere. Andererseits setzen sie starke grafische Akzente. Ein kompliziertes Lochmuster aus unzähligen ausgestanzten Dreiecken läuft in einem 45-Grad Winkel über die Oberfläche.

Bureaux Novira Plaza, Tallinn (Estonie)
Lochmuster aus Dreiecken

Zink-Paneele mit bis zu 50% Perforierung

Möglich wird diese gestalterische Wirkung durch einem hohen Grad an Perforation. So konnten die Elemente stellenweise sogar auf einem Flächenanteil von bis zu 50% perforiert werden. Weitere Beispiele zum Thema Perforierung gibt es auch in unserem Blogbeitrag „Transparent oder opak?“.

Bureaux Novira Plaza, Tallinn (Estonie)
Perforierung von bis zu 50%

Auch im Dunkeln gut zu sehen

Wenn die Sonne untergeht, hält das Gebäude noch eine weitere Überraschung bereit. Meterlange LED-Steifen laufen vertikal die Fassade entlang. Die Beleuchtung ist in unregelmäßigen Abständen über die Glasflächen verteilt, die Lichtbewegungen machen das Novira Plaza zu einer auffälligen Landmarke in der Dunkelheit. Im Hintergrund wird dann das Treppenhaus mit seiner Beleuchtung sichtbar, denn durch das perforierte Zink wandern die Blicke leicht in das erhellte Innere.

Bureaux Novira Plaza, Tallinn (Estonie)
Nachts sorgen an der Fassade entlang fließende Leuchtstreifen für Aufmerksamkeit.

Guido Wollenberg

Bildrechte: Tõnu Tunnel